Von Prof. Dr. Josef Lutz, Chemnitz

Nach dem Start des Web-Teleskop schrieb Prof. Louis Marmet von der York University, Kanada, begeistert „Ein 12-Milliarden-Geschenk für die Mitglieder der Gruppe Alternative Kosmologie“. Und David Dilworth freute sich: „Der Tod des Big Bang ist nah“. Big Bang, großer Knall, ist der englische Begriff für den Urknall. Die Gruppe Alternative Kosmologie bildete sich nach der Konferenz „Krise der Kosmologie“, die 2006 in Portugal stattfand. Ihre Mitglieder sind über einen Email Verteiler in losem Kontakt, unregelmäßig gibt es einen Newsletter.

In der Ausgabe Januar 2022 aber warnt er: Auch in den letzten Jahrzehnten, als Beobachtungen der Astronomie immer wieder gegen die Prognosen der Urknall-Theorie sprachen, wurde sie nicht aufgeben.  „Beobachtungen des Webb-Teleskops werden die Urknalltheorie nicht vom Thron stoßen, denn es wäre zu peinlich für Kosmologen“ … Stattdessen werden sie sich überrascht zeigen und wieder versuchen, eine „neue Physik“ zu erfinden, die erklärt warum so früh nach der angeblichen Geburt des Universums schon Galaxien auftreten.

Gehen wir auf die Hintergründe ein. „Neue Physik“ wurde schon mehrfach erfunden, um die Urknalltheorie zu retten. Das war zuerst die Theorie des „Inflationären Universums“, das sich in der Anfangszeit mit Überlichtgeschwindigkeit ausgedehnt haben soll. Und dann wurde die „Dunkle Materie”, eingeführt – Materie, die nie gefunden wurde, die man aber braucht, damit die Berechnungen des Urknalls stimmen. Schließlich kam noch die „dunkle Energie“ dazu, eine geheimnisvolle Energie, welche die Galaxien umso schneller auseinandertreibt, je weiter sie entfernt sind. Was die physikalische Ursache sein soll, bleibt völlig im Dunkeln. Aber man hat sich geeinigt auf ein neues „Standardmodell“ mit dem Namen „Lambda Cold Dark Matter Modell“ LCDM, wobei das Lambda für die geheimnisvolle Abstoßungskraft steht, und Cold Dark Matter bedeutet kalte dunkle Materie.  Im Ergebnis der ständigen Nachbesserungen besteht unser Universum zu 23% aus dunkler Materie und 73% aus dunkler Energie. Nur 4% sind uns bekannte Materie. Also nur so viel passt zur Physik, alles andere ist neue, unbekannte Physik, die man „erfinden“ musste, um die Theorie vom Urknall zu retten. Manchen erinnert das an die Epizykeln: Die Kirche verlange, dass die Erde im Zentrum steht. Also mussten Planeten komplizierte Bahnen mit zeitweiliger Rückwärtsbewegung durchlaufen. Drei Epizykeln waren schon bislang notwendig.

Das komplizierte Weltbild der Epizykeln. Kopernikus beseitigte die Epizykeln, indem er die Sonne ins Zentrum des Planetensystems setzte.
(Quelle: Wikipedia, gemeinfrei.)

Wenn wir heute entfernte Objekte beobachten, ist die Rotverschiebung z die Größe zur Bestimmung der Entfernung. Hubble entdeckte den Zusammenhang, wobei die Beobachtungen damals nur bis etwa z = 0,1 gingen. Sie wurde interpretiert als Bewegung der Objekte von uns weg, als „Fluchtgeschwindigkeit“. Hubble unterstütze das nicht, denn z = 0,1 ergibt schon 10% der Lichtgeschwindigkeit. Und bei z =1 würde die Lichtgeschwindigkeit erreicht. Inzwischen ist man bei z weit größer als 1. Es wurde danach mit relativistischer Korrektur gerechnet. Inzwischen wird mit dem Standardmodell LCDM gerechnet. Es ergibt sich somit nur noch eine Laufzeit, welche das Licht zu uns zurückgelegt hat. Die entfernteste derzeit entdeckte Galaxie ist GN-z11 bei einer Rotverschiebung von z = 11. [1] Ihr Licht ist 13 400 Millionen Jahre zu uns unterwegs. Wir sehen sie also im Zustand vor 13,4 Milliarden Jahren. Inzwischen wäre sie natürlich noch viel weiter weggebraust.

Die Berechnung der Laufzeit des Lichts aus der Rotverschiebung zeigt sich in der durchgezogenen Linie der Graphik. Demnach ist die Laufzeit nur linear abhängig von z (wie das sog. Hubble-Gesetz) für nicht allzuweit entfernte Objekte, für entfernte nähert sie sich asymptotisch dem maximalen Weltalter an. Wird die Rotverschiebung noch so groß, das Objekt wird nur wenig älter. Denn die  Theorie vom Urknall ist Grundlage der Berechnung.

Laufzeit des Lichts in Abhängigkeit von der Rotverschiebung, berechnet nach dem aktuellen „Standardmodell“, Daten aus https://lco.global/spacebook/light/redshift/. Eingezeichnet sind auch die Zeit des angeblichen Urknalls sowie kürzlich entdeckte Objekte sehr hoher Rotverschiebung.

Über sehr entfernte Galaxien wie GN-z11 haben wir noch wenige Informationen. GRB 090429B ist „Gamma-Ray-Burst“, ein Ausbruch von Gamma-Strahlen, dies sind die Ereignisse höchster Energie. Sie setzen in kurzer mehr Energie frei als die Sonne in ihrer gesamten erwarteten Lebensdauer von 10 Milliarden Jahren. Sie sind derzeit noch wenig verstanden, spekuliert wird über den Zusammenstoß von Neutronensternen. Solche Objekte sind aber Endprodukte der Entwicklung massereicher Sterne, wie können sie sich in so kurzer Zeit entwickelt haben?

Wenn die Theorie vom Urknall stimmt, und das Weltalter vor 13,8 Milliarden Jahre begann, dann ist ein Objekt mit der Laufzeit des Lichts von 13,4 Milliarden Jahren eben nur 400 Millionen Jahre alt. Je höhere Rotverschiebung wir messen, umso jünger werden nach dieser Theorie die Objekte.

Doch wir finden voll entwickelte Galaxienhaufen. Der Galaxienhaufen der Bezeichnung CL J1449+0856 ist derzeit der entfernteste im Detail untersuchte. Das Licht ist etwa 10,3 Milliarden auf dem Weg zu uns. Er zeigt voll entwickelte Einzelgalaxien mit alten Sternen, er ist erwachsen. Doch angeblich war das Universum damals gerade etwas über drei Milliarden Jahre alt. So eine entwickelte Struktur dürfte es eigentlich nicht geben.

Der Galaxienhaufen CL J1449+0856 in etwa 10,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Er ist „erwachsen“ (mature). Es dürfte ihn eigentlich nach der Theorie vom Urknall nicht geben. Mit freundlicher Genehmigung National Astronomical Observatory of Japan

In unserer eigenen Galaxis liegen viele Erkenntnisse über das Alter der Sterne vor. Es gibt viele Typen, langlebige und kurzlebige. Der älteste Stern wurde mit einem Alter von 13,6 Milliarden Jahren gefunden [2], und jünger kann unsere Galaxie nicht sein. Es zu erwarten, dass es auch in diesen „erwachsenen“ Galaxien alte Sterne gibt. 10,3  + 13,6 ergibt doch mehr als 13,8? Schon heute zeigen Ergebnisse unserer Teleskope, dass die Theorie vom Urknall in ein Altersproblem führt. Es wird zunehmend eng.

Galaxien brauchen ja auch Zeit zu ihrer Entwicklung, bis sich die spiralförmige oder elliptische Struktur ausbildet. Wir finden in den Galaxien superschwere Zentralkörper, der in unserer  Galaxie besteht aus 4,31 Millionen Sonnenmassen. Noch schwere Zentralkörper finden sich in anderen Galaxien. Die Beobachtung der Galaxien zeigt ein Bild ständiger Entwicklung. Beim Zusammenstoß von Spiralgalaxien entstehen elliptische Riesengalaxien. Aus dem Ausbruch von Materie aus den massiven Zentralkörpern entstehen neue Sternsysteme. Die Astronomie findet heute ein ganz anderes Bild, ein Bild eines in Entwicklung befindlichen Kosmos.

Die Theorie des Urknalls als eines simplen Anfangs des Universums ist eine moderne Schöpfungsgeschichte. Aber sie ist so tief verwoben mit der herrschenden Weltanschauung und der Methodik in der Physik, dass ihre Überwindung auch eine Auseinandersetzung um die Herangehensweise bedarf. Der eingangs zitierte Prof. Louis Marmet erwartet, dass die Urknall-Theorie wieder durch „neue Physik“ modifiziert werden wird, also ein vierter Epizykel dazu kommt.

Das Webb-Teleskop mit 6,5 m Spiegeldurchmesser ist nur eins, es sind mehrere Großteleskope mit 10 m Spiegel in Betrieb gegangen. Ein 39 m-Teleskop der ESO ist im Hochland von Chile in Bau. In jedem Fall können wir uns auf interessante Bilder und Fakten freuen, die das dialektisch-materialistische Weltbild erweitern, sowie auch auf eine spannende Auseinandersetzung.


[1] https://hitechglitz.com/german/astronomen-haben-gerade-die-alteste-und-am-weitesten-entfernte-galaxie-aller-zeiten-entdeckt/

[2] https://news.mit.edu/2014/researchers-identify-one-of-the-earliest-stars-in-the-universe-0209


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