Auf Initiative der Bergarbeiterbewegung „Kumpel für AUF“ und in Zusammenarbeit mit einer Ärzteinitiative sowie der Umweltgewerkschaft wurde eine medizinische Studie zur gesundheitlichen Belastung der Bergleute durch Polychlorierte Biphenyle (PCBs) und Schwermetalle im 2. Halbjahr 2021 durchgeführt. Auf der Offenen Akademie im April 2022 präsentierten Christoph Klug, Prof. Reiner Frentzel-Beyme und Günter Belka in ihrem Vortrag „Bergarbeiter und Familien gegen PCB-Vergiftung“ erste Ergebnisse der RAG-unabhängigen Untersuchung von 124 ehemaligen Steinkohle-Bergleuten. Ausgewertet wurden die gesundheitliche Belastung und Arbeitsplatzvorgeschichte der Bergleute sowie die Ergebnisse von Blutuntersuchungen auf PCBs und Urinuntersuchungen auf Schwermetalle. Die Befunde sind gravierend.

Bei 53,2% der Bergleute wurde eine Belastung mit mindestens einem toxischen Schwermetall im Urin festgestellt, bei 20,2% waren zwischen 2 und 5 erhöhte Schwermetallwerte im Urin zu finden.

Bei den Bergleuten mit den höchsten PCB-Werten aus der Gruppe der Leitkongenere traten höhere Inzidenzen für diverse Erkrankungen auf, obwohl sie noch im Bereich der amtlichen „Referenzwerte“ lagen. Bei Bergleuten, die auch auf PCB 74 und 114 nachuntersucht wurden, ließen sich bei 30,6% teils massive Grenzwert-Überschreitungen für diese PCBs nachweisen. Bei der Krankheitslast lagen in dieser Gruppe höhere Inzidenzen für Krebsleiden, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Immunstörungen und Hörstörungen vor. Diese beiden im Bergbau verwendeten hochgiftigen PCBs sind in ärztlich-medizinischen Untersuchungen üblicherweise ausgespart, weil sie nicht zu den sogenannten „Leitkongeneren“ zählen. Das müsse, so fordern die Autoren der Studie, geändert werden:

“Bei der Untersuchung und Begutachtung von Bergleuten sind diese beiden Kongenere in Zukunft obligatorisch zu bestimmen. Die Festlegung der Referenzwerte wie auch die Auswahl der Leit-Kongenere muss nach wissenschaftlichen Kriterien und unabhängig von Auftraggebern aus Industrie und Berufsgenossenschaften neu erfolgen. Die Aussage der RAG …, dass sich aus den dort ermittelten Messwerten keine Krankheitsfolgen ableiten lassen, ist durch die Ergebnisse in Frage gestellt.

Die Ergebnisse der Studie kritisieren die Aussage der RAG-Geschäftsleitung, dass von dieser PCB-Belastung „keine akute Gesundheitsgefährdung für die untersuchten Bergleute vorliegt.“[1] Bei PCBs geht es in der Regel nicht um akute Vergiftungen, sondern um die Auslösung schwerwiegender chronischer Erkrankungen, nicht selten auch mit tödlichem Verlauf. Die gültigen Referenzwerte bieten hier keinen Schutz:

“Ein Zusammenhang sowohl zwischen der Höhe der PCB-Belastung (auch innerhalb der sogenannten Referenzwerte) wie auch der Schwermetallbelastung von Bergleuten und daraus resultierenden chronischen Krankheiten wird durch unsere Ergebnisse bestätigt.“

Die Autoren der Studie sehen infolge der erheblichen Belastung der Grubenwässer mit eben diesen „Schwermetallen, PCB und Dioxinen (…) dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf die Reinigung von Grubenwasser vor der Einleitung in Oberflächen-Gewässer und für Maßnahmen zur Sicherung des in Zechen eingelagerten und überwiegend bereits gefluteten Giftmülls.

Eine wichtige Schlussfolgerung ist, dass die RAG als Betreiber der Schachtanlagen die Krankheitsfolgen als Berufskrankheit anerkennen und die betroffenen Bergleute entschädigen muss. Die detaillierten Ergebnisse der 20-seitigen Studie und die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen sollten im Gesundheitswesen von niedergelassenen Ärzten und in Krankenhäusern in der Diagnostik und Behandlung berücksichtigt werden. Aber auch Techniker, Wissenschaftler und Ingenieure müssen die langfristigen Auswirkungen von in der Industrie verwendeten Technologien auf die Gesundheit wissen. Der Vortrag auf der Offenen Akademie wies darauf hin, dass eine gemeinsame Bewegung von Arbeitern, Wissenschaftlern, Umweltbewegung und Ärzten nötig und erfolgversprechend sein dürfte. Jeder Arbeiter muss wissen, mit welchen Giftstoffen er in der Produktion in Berührung kommt. Der Schutz vor diesen Gefahrstoffen ist Anliegen der Gewerkschaften und der Arbeiterbewegung. Die vorliegende Studie liefert dazu wichtiges Material.

Eine gekürzte Fassung der Studie erschien in der Ausgabe 4/22 der Zeitschrift „Umwelt Medizin Gesellschaft“. Sie kann über folgende Webseite bestellt werden:

https://www.forum-medizin.de/umwelt-medizin-gesellschaft

Die Offene Akademie dokumentiert die vollständige Studie.

Zur Studie auf der Webseite der Offene Akademie


[1]  https://www.rag.de/news/t2_news/pilotstudie-bergleute-nicht-gesundheitlich-gefaehrdet-aber-in-früheren-jahren-mit-pcb-belastet/


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