AKTIVIERUNG von anhaftendem Feinststaub an den äußeren Wandungen von befüllten Atommüllbehältern

von Rolf Bertram
Direkt an der Außenhaut von CASTORen ist ein erheblicher Neutronenfluss mit einem hohen Anteil thermischer Neutronen festgestellt worden. Die Intensität dieser thermischen Neutronen reicht aus, um auf der Außenhaut adsorbierte Ionen, Atome und Moleküle mittels einer (n,Gamma)-Reaktion zu aktivieren.
Der Grad der Aktivierung der genannten Teilchen hängt von der Haftdauer, von der Ortsdosisleistung der Neutronen an der Haftstelle, vom Wirkungsquerschnitt (barn) der getroffenen Atome und von Art und Größe der anhaftenden Teilchen ab.
Die Haftdauer (ggf. bis zur Desorption) hängt von der Oberflächenmorphologie (glatt, rau) und von Art und Menge der beteiligten Komponenten ab.
Für anhaftende Ionen, Atome und Moleküle wird sich chemiesorptiv und physisorptiv ein Gleichgewicht zwischen adsorbierten und desorbierten Partikel einstellen. Dieses Gleichgewicht ist kinetisch dadurch gekennzeichnet, dass in der Zeiteinheit genau so viele Teilchen adsorbieren wie desorbieren (das ist die physikalisch-chemische Definition für nichtradioaktive Partikel). Hin- und Rückprozesse sind massemäßig ausgeglichen. Der ständige Austausch beinhaltet jedoch, dass immer wieder andere Teilchen in die Hin- und Rück-Prozesse einbezogen werden. Für die tatsächliche Bedeckung spielt eine wesentliche Rolle die sog. Selektive Adsorption, in der zum Ausdruck kommt, dass die aktiven Plätze in der Oberflächenschicht des adsorbierenden Festkörpers (Metall) bei einem großen Angebot an adsorptionsfähigen Teilchen unterschiedlich attraktiv sind.
Mir sind keine Untersuchungen oder Modellvorstellungen bekannt, die den Einfluss der Aktivierung auf die Sorptionsgleichgewichte berücksichtigen. Schon gar nicht, wenn es sich um die Kombination vielfältiger und vermutlich auch synergistischer Effekte handelt, die bei der großen Zahl von simultan vorliegenden aktivierbaren Stoffen unvermeidbar sind. In einem solchen Fall dienen Erkenntnisse aus der selektiven Adsorptionstheorie bestenfalls für eine grobe Orientierung.
Desorbierte aktivierte Teilchen sind eine ständige Quelle radioaktiver Emissionen.
Die normale einen CASTOR umgebende Luft enthält große Mengen an Partikel unterschiedlicher Größe. Bei Berücksichtigung von Ultrafeinstaub (Nanopartikel) kann die Partikelzahl pro Kubikzentimeter Luft mehr als 1 Mio betragen. Es ist bekannt, dass auch solche Partikel beim Kontakt auf einer Festkörperoberfläche haften und von dieser auch wieder abgestoßen werden. Während der Haftung unterliegen die partikelbildenden Atome der Aktivierung durch thermische Neutronen. Zwischen den o.g. Sorptionsprozessen mit Ionen, Atomen und Molekülen und den Prozessen an Feinststaubpartikeln mag es gewisse Analogien geben.
Da einzelne suspendierte Teilchen aus Tausenden von Atomen bestehen, werden bei Aktivierung viele radioaktive Isotope in diesen Teilchen enthalten sein. Die luftgetragenen radioaktiven suspendierten Teilchen dürften daher radiologisch und radioökologisch von besonderer Bedeutung sein. Der Teilprozess der Freisetzung aktivierter Teilchen ist eine ständige Quelle radioaktiver Emissionen.
Grundlegende Untersuchungen und belastbare Modelle oder plausible Theorien über diese Prozesse, an deren Ende die Freisetzung radioaktiver Suspensionen steht, sind (mir) nicht bekannt.
Wir haben es hier mit einem Problemfeld zu tun, das insbesondere die Zwischenlagerung von hochaktivem Atommüll betrifft. Durch den zur Kühlung dienenden ungefilterten Naturzug von Zuluft und Abluft (z.B. im Castor-Zwischenlager: “unten rein oben raus“) muss angesichts der langen Standzeiten mit einer ständigen Kontamination der Abluft und der davon betroffenen Biosphäre gerechnet werden.
Zur Abschätzung dieser zweifellos stattfindenden Effekte müssten (am besten vor Ort) grundlegende Untersuchungen vorgenommen werden.

Prof. Dr. Rolf Bertram, Kernphysiker, ist Mitglied es wissenschaftlichen Beirats der offenen Akademie.


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