To: brinksma@tuhh.de
Subject: Werbeverbot für wissenschaftliche Veranstaltung

Sehr geehrter Herr Kollege,
wenn ich mich vorstellen darf: ich bin seit 1998 Professor emeritus der Universität Bremen, wo ich für fast drei Jahrzehnte Literaturwissenschaft und Philosophie unterrichtete. Davor war ich zehn Jahre lang Dozent für deutsche Literatur an einer britischen Universität. Zudem war ich mehrfach Gastdozent an usamerikanischen, britischen und irischen Universitäten. Mit dort tätigen Kollegen stehe ich in brieflichem Kontakt. Zu meinen Lehrern gehörten neben dem international renommierten Anglisten Rudolf Sühnel die Philosophen Weischedel, Löwith und Henrich. Letzterer war auch Prüfer in meinem Promotionskolloquium. Ich erzähle all dies, damit Sie wissen, mit wem Sie sprechen und um Sie wissen zu lassen, dass ich mit den Gepflogenheiten westlich-demokratischer Hochschulen sehr wohl vertraut bin.

Von dieser akademischen Sozialisation her habe ich es zunächst nicht für möglich gehalten, was an Ihrer Hochschule geschehen ist: dass die Werbung für eine Veranstaltung zu einem Kernbereich der Philosophie – denn das ist der dialektische Materialismus – schlicht verboten wird. Lassen Sie es sich bitte sagen, dass so ein Procedere – bereits aus Gründen des wissenschaftlichen Anstands! – in den mir bekannten Ländern, ich möchte sagen: in allen Ländern der zivilisierten Welt, undenkbar ist. Soll ich Ihnen erklären, wofür der dialektische Materialismus steht: es ist eine Tradition philosophischen Denkens seit der frühen griechischen Philosophie (spätestens seit Heraklit), in der Neuzeit stossen dann Hegel und Marx richtunggebend hinzu. Der Verdacht drängt sich auf, dass es der Name des letzteren ist, der das Verbot bewirkte – doch wenn dem so ist, so sollten die dafür Verantwortlichen schamrot werden. Es wäre Ausdruck einer Kleingeisterei, die in den mir bekannten Ländern der zivilisierten Welt undenkbar wäre. In Ihrer Stellungnahme, die mir vorliegt, berufen Sie sich auf den Grundsatz politischer Neutralität, der die Werbung verbiete. Die verbotene Veranstaltung aber ist nicht politischer als es Veranstaltungen zu Platon, Aristoteles, Dante, Spinoza, Kant oder Heidegger wären.

Allein ein Beispiel fällt mir ein, das dem Ihrigen an die Seite zu stellen wäre, ja an Ignoranz dieses noch übertrifft: und zwar wurde anno 2017 im nordamerikanischen Staat Arizona eine Liste verbotener Bücher („banned books“) erstellt, zu denen Shakespeares „Sturm“ gehörte. Verantwortlich dafür war eine Behörde, in denen Gesinnungsgenossen des Herr Trump das Sagen hatten. Der darauf einsetzende Protest bewirkte schnell, dass diese Liste zurückgenommen wurde. Ich möchte Sie bitten, in diesem Sinne zu handeln und das Werbeverbot gleichfalls zu annulieren. Sie würden sonst wieder einmal eine deutsche Universität zum Gespött der zivilisierten Menschheit machen.

Mit freundlichem Gruss
Thomas Metscher


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