Rolf Gössner kritisiert Zensur des Abschlussberichts zur NSU-Mordserie
Am 22.8. veröffentlichte der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags seinen Abschlussbericht. Die Internationale Liga für Menschenrechte, deren Vorsitzender unser Mitglied des Fachbeirats Rolf Gössner ist, kritistiert: „Leider ist der Bericht nur in zensierter Fassung zugänglich, wofür Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Verantwortung trägt. Dieser hat den Ausschuss mit einer vertraulichen Streichliste konfrontiert, in der er die Streichung oder Abänderung von 118 Textstellen forderte, die vom Ausschuss allerdings nur teilweise übernommen wurden.
Die Löschung ganzer Passagen und vertraulicher Dokumente sei zum Schutz von V-Leuten aus Neonaziszenen, zum Schutz der Arbeitsweise des „Verfassungsschutzes“, der V-Mann- und Akten-Führung sowie zum Schutz des Staatswohls erforderlich. Eine Veröffentlichung sensibler Textstellen würde V-Leute enttarnen und an Leib und Leben gefährden, dem Wohl des Bundes und der Länder schaden sowie das „Ansehen des Verfassungsschutzes beschädigen“, so das Bundesinnenministerium in seinem als Verschlusssache „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ klassifizierten Schreiben an den Ausschuss vom 9.08.2013.
Die Internationale Liga für Menschenrechte hält diese exekutive Einwirkung des Bundesinnenministers auf ein parlamentarisches Kontrollgremium für skandalös und demokratiewidrig. Liga-Vizepräsident Rolf Gössner: „Das ist ein Verstoß gegen das Verfassungsprinzip der Gewaltenteilung. Doch solche Einflussnahmen sind keine Einzelerscheinungen, sondern haben leider System, weil sich die Verdunkelungsstrategien der Geheimdienste zwangsläufig bis hinein in die parlamentarische oder gerichtliche Kontrolle verlängern.“
Tatsächlich hatten die Ausschussmitglieder im Laufe ihrer parlamentarischen Aufarbeitung der NSU-Mordserie mit erheblichen Widrigkeiten, Vertuschungen und Urkundenunterdrückungen zu kämpfen. Seit Aufdeckung der Mordserie waren die „Sicherheitsbehörden“ mit fast schon krimineller Energie damit beschäftigt, die Spuren ihres Versagens, ihrer ideologischen Verblendung und Verflechtungen in das NSU-Umfeld zu verdunkeln und zu vernichten. Letztlich konnte der Ausschuss nicht mit letzter Sicherheit klären, weshalb die hochgerüsteten Sicherheitsbehörden den mutmaßlichen rechtsterroristischen Mördern und ihrem rassistischen Hintergrund mehr als ein Jahrzehnt lang nicht auf die Spur kamen – obwohl (oder weil) sie doch über ihre Nazi-V-Leute nahe am Geschehen waren und heillos verstrickt in das gewaltbereite Neonazi-Umfeld.
Rolf Gössner: „Die parlamentarischen Kontrolleure blickten in unglaubliche Abgründe einer organisierten Verantwortungslosigkeit der Sicherheitsorgane. Entsprechend vernichtend fällt nun parteiübergreifend das Urteil aus – obwohl der Abschlussbericht nach vorläufiger Einschätzung keineswegs alle wesentlichen Fragen nach den Hintergründen der Mordserie beantworten kann und sich mit dem Problem des institutionellen Rassismus’, der tief im staatlichen Handeln verwurzelt ist, zu wenig auseinandersetzt. Trotz des bisherigen Befunds sprechen Regierungspolitiker und Sicherheitspraktiker noch immer verharmlosend von Pannen, allenfalls von Unfähigkeit der Behörden…“
Rolf Gössner spricht auf der Offenen Akademie am Sonntag, 29.9. um 14.00 Uhr zum Thema „Polizei außer Kontrolle? Fatale Folgen staatlicher Machtentgrenzung“. Wie jede Veranstaltung, besteht auch diese aus 45 min Vortrag und 45 min Diskussion. Wir dürfen gespannt sein auf eine lebendige Auseinandersetzung.