Aus einem Beitrag von Rolf Gössner in „Ossietzky“ Nr. 21 vom 13.10.2012:

… Der Verfassungsschutz sucht sowohl auf Bundesebene als auch in den Ländern immer mehr sein Heil in der politischen Bildung, in die er mit seiner unsäglichen und umstrittenen „Extremismusdoktrin“ massiv vordringt. Er betreibt – nicht zuletzt aus Legitimationsgründen – eine zunehmend offensive Öffentlichkeitsarbeit, so mit kostenfreien Wander-Ausstellungen, Broschüren und Veranstaltungen über „Islamismus“ und alle Sorten von „Extremismen“; er mischt sich meinungsbildend in die politische Willensbildung ein und munitioniert dabei auch die Medien. Mehr und mehr wirkt er hinein in Schulen und Hochschulen, Bildung, Wissenschaft und Forschung – ganz ähnlich wie die Bundeswehr.

Diese Kompetenzüberschreitung und ideologische Einflußnahme ist besorgniserregend und sollte energisch zurückgedrängt werden. Denn damit maßt sich ein öffentlich nur schwer zu kontrollierendes Überwachungsorgan einen Bildungsauftrag in Sachen „Demokratieerziehung“ an, der keine gesetzliche Grundlage hat…

Dem Land Niedersachsen kommt in dieser geheimdienstlichen „Bildungsoffensive“ übrigens eine problematische Vorreiterrolle zu: Hier ist im Jahr 2005 unter der schwarzgelben Landesregierung die Landeszentrale für politische Bildung vollständig aufgelöst worden; zum Ausgleich übernahm ausgerechnet der Verfassungsschutz wesentliche Teile der politischen Bildung. Dafür ist eigens 2009 eine neue Abteilung in der Verfassungsschutzbehörde geschaffen worden: die Niedersächsische Extremismuspräventions- und Informationsstelle (NEIS). NEIS bietet in ganz Niedersachsen Vorträge, Projekttage, Kongresse, Symposien, Ausstellungen, Unterrichtsmaterialien und Lehrerfortbildungen zum Thema „Extremismus“ für Schulen und außerschulische Bildungsträger an. NEIS zielt besonders auf interessierte junge Erwachsene ab 16 Jahre, die in einem bundesweit einmaligen Qualifizierungsprogramm zu ehrenamtlichen „Demokratie-Lotsen“ ausgebildet werden. Auf Kosten des Verfassungsschutzes werden sie an zwei Wochenenden in zwei niedersächsischen Heimvolkshochschulen geschult, über Gefährdungen der Demokratie informiert und zu Hilfs-Verfassungsschützern geformt. Es mag nicht alles falsch sein, was hier im Detail an Wissen vermittelt wird. Doch wir haben das grundsätzliche Problem, daß hier ausgerechnet ein Geheimdienst, der selbst demokratischen Prinzipien widerspricht, immer wieder Bürgerrechte verletzt und Skandale produziert, quasi zum neuen Bildungsträger wird und die politische Orientierung der Jugend prägt. Die allmähliche Durchdringung wesentlicher gesellschaftlicher Bereiche führt zu einer ideologischen Einflußnahme auf Meinungsbildung und politisches Engagement und sichert dem Verfassungsschutz semantische Deutungshoheit. So etwas kennt man von autoritären Staaten, doch mit offener demokratischer Kultur dürfte diese Entwicklung nicht vereinbar sein…

Der vollständige Artikel findet sich in der Zeitschrift „Ossietzky“, und demnächst auch in der Neuen Rheinischen Zeitung. Einen Vortrag von Rolf Gössner zum Thema V-Leute findet sich im Tagungsband der Offenen Akademie 2010.


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