(erweitert 12.10.13 und 27.10.13) In Fukushima droht aus den Abklingbecken der Atomruine eine akute Gefahr, die, in Bezug auf die Freisetzung von radioaktivem Caesium, gar das 85-fache des Ausmaßes der Atomkatastrophe von Tschernobyl annehmen kann. Wir haben bereits darauf hingewiesen. Inzwischen ist der Zustand der Gebäude und der Abklingbecken insbesondere von Reaktor 4 so kritisch, dass sie keinen weiteren Unwetterkatastrophen oder gar Erdbeben standhalten werden. Die dort gelagerten abgebrannten Elemente geben Nachwärme ab. Versagt aber die Kühlung, so ist eine Entzündung der aus Zirkoniumlegierung bestehenden Brennstabhülsen mit Freisetzung von Radioaktivität zu erwarten.

Die Gebäude sind beschädigt. Die Fundamente unter den Ruinen wurden durchweicht. Es wird nun in der nächsten Zeit versucht werden, die Brennelemente zu bergen. 1.331 benutzte Brennelemente, eng beieinander verstaut, müssen aus der Ruine Reaktor 4 entfernt werden. Jedes Brennelement wiegt rund 300 Kilogramm und ist viereinhalb Meter lang. Die Stäbe liegen in einem zehn mal zwölf Meter großen Becken mit einer Tiefe von über sieben Metern. Der Grund des Pools ist 18 Meter über der Erde (siehe Zeichnung).

Brennelemente bestehen aus einem Bündel einzelner Brennstäbe, die Umhüllung der Brennstäbe besteht aus der Zirkoniumlegierung Zirkalloy-4. Beim Trockenfallen der Brennstäbe sind  Reaktionen mit Luftsauerstoff kritisch. Zu einer explosiven Entzündung kommt es, wenn Zirkonium pulverisiert vorliegt. Die auf die Masse bezogene  große Oberfläche reagiert dann mit Luftsauerstoff in einer stark exothermen Grenzflächenreaktion blitzartig. Bei normaler Umgebungstemperatur besteht Zirkoniumoxid als Oberflächenschicht auf metallischem Zirkonium, die als Passivierung dient, d.h. dass sie die weitere Oxidbildung behindert. Bei hoher Temperatur – die infolge der Zerfallswärme mit Zeitverzögerung auftritt – verbrennt jedoch auch das kompakte Metall  vollständig zu Zirkoniumdioxid. Dieser Prozess wird selbst wahrscheinlich nicht explosionsartig  ablaufen. Zirkoniumbrände sind jedoch sehr gefährlich, da zum Löschen weder Wasser (heftige Reaktion unter Wasserstoffbildung), noch Kohlenstoffdioxid oder Halon verwendet werden dürfen.

Zirkoniumbrand setzt ein, wenn die Kühlung im Becken versagt, das Wasser verdampft ist und die Brennelemente sich auf mehr als 1000°C erhitzen. Oder auch, wenn ein Brennelement beim Herausheben für längere Zeit den Kontakt mit der Wasserkühlung verliert und sich zu stark erhitzt, mangels Kühlung. Das macht das ganze Unterfangen der Bergung sehr riskant. Wenn die Oxidschicht durch Greifarme der Krane verletzt wird, kann die Oxidation beschleunigt einsetzen. Die Bergung der Brennelemente in Fukushima ist hoch riskant, da die Spezialvorrichtungen zum Wechseln der Brennelemente zerstört sind und mit Kranarmen ein kontrolliertes Anfassen einzelner Brennelemente nicht sicher gewährleistet werden kann.

Im Kontakt von Wasser und Zirkalloy bei mehr als 800°C entsteht Wasserstoff. Wenn dieser sich mit Luft vermischt und damit eine kritische Konzentration von Wasserstoff überschritten wird, kommt es zur Explosion. Im Reaktorunfall von Three Mile Island und in Fukushima kam es zu Wasserstoffbildung und Explosion durch diese Reaktion mit Wasserdampf.

Der Versuch der Bergung der Brennelemente soll möglichst bald beginnen. Das Gefahrenpotenzial dieser Aktion, die so noch nie vorher stattgefunden hat, ist immens: „Eine vollständige Freisetzung aus dem Abklingbecken, ohne irgendeinen Einschluss oder Kontrolle, könnte den bislang größten Atomunfall aller Zeiten auslösen“, heißt es dazu im World Nuclear Industry Status Report 2013.

Wenn auch nur eins der Elemente bei der Operation zerbricht, könnte so viel Radioaktivität freigesetzt werden, dass alle Akteure sofort evakuiert werden müssen. Dann ist aber der Rest des Brennelemente-Lagers unkontrolliert. Wird die Kühlung nicht aufrecht erhalten und laufen die Brennelemente trocken, droht die Katastrophe. Der Physiker Sebastian Pflugbeil warnt am 9. Oktober 2013:
„Die Menschheit könnte bei Scheitern der Versuche, die gebrauchten Brennelemente des KKW Fukushima zu bergen, in einer bisher nicht gekannten Weise durch Strahlen geschädigt werden.“
„Wenn es zu diesem schlimmsten Fall kommt, müssen riesige Gebiete evakuiert werden. Wenn der Wind in die Richtung von Tokio zieht, müsste Tokio vollständig evakuiert werden. Aber das geht nicht. Die Folgen würden nicht nur Japan, sondern die ganze Nordhalbkugel der Erde betreffen.“

Besonders gefährlich wird die Lage dadurch, dass wir es mit MOX-Brennelementen mit hohem Gehalt an Plutonium zu tun haben, wie sie auch in den Abklingbecken der Reaktoren in Europa und USA gelagert sind.


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