von Prof. Dr. Josef Lutz, Chemnitz

Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Besucher der offenen Akademie,

ich spreche hier stellvertretend für Herrn Prof. Rolf Bertram, den wir sehr schätzen. Er kann diese Eröffnung der Offenen Akademie heute leider nicht selbst vornehmen.

Die Sprechergruppe des Beirats der Offenen Akademie bat mich, den Beitrag für Prof. Bertram zu übernehmen. Ich möchte den imperialistischen Krieg in der Ukraine in den Mittelpunkt stellen. Seit vielen Jahren bin ich in der Friedensbewegung engagiert und regelmäßig auf dem Ostermarsch in Chemnitz als Redner präsent.

Der Ausbruch des Kriegs hat viele Menschen tief erschüttert. Viele aus unserem Freundeskreis, und besonders auch Prof. Bertram, hatten sich über Jahrzehnte gegen Umweltzerstörung, Atomwaffen und Aufrüstung engagiert.

Jeden Tag werden wir mit Bildern von Opfern in der Ukraine in den Medien überflutet. Aber es gibt eine Erkenntnis, die schon sehr alt ist:

„Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer.“

Aischylos (525-456 v.Chr), griechischer Dichter

Im Fachjargon der Militärs nennt man das heute psychologische Kriegsführung. Die Medien werden „gebrieft“, d.h. ausgerichtet. Man muss einen klaren Kopf bekommen.

Wir erleben eine Zäsur in der Weltlage, eine regelrechte Weltkrisein Bezug auf die Weltwirtschaft, auf die Umwelt, auf die Flüchtlingskrise. Eine solche Situation haben wir alle noch nicht erlebt. Das will verarbeitet werden

Unmittelbar nach Kriegsausbruch beschlossen die deutschen Wissenschaftsorganisationen, alle Projekte mit russischen Wissenschaftlern zu beenden. Damit war auch die Finanzierung dieser Wissenschaftler ausgesetzt. Gegen diesen Akt des Chauvinismus äußerte sich der Physiker Prof. Ratke und wandte sich mit seinem Protest an uns. Wir veröffentlichten seinen Brief auf unserer Homepage. Und wir starteten eine Erklärung „Nein zum Krieg – Wissenschaftler für internationale Völkerfreundschaft“, die inzwischen in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch veröffentlicht ist. 

In dieser Erklärung heißt es: „Wir verurteilen den Angriff Russlands auf die Ukraine und den barbarischen Krieg, der gegen die Bevölkerung auf ukrainischen Boden geführt wird. Wir sind solidarisch mit den Opfern der Aggression, aber auch mit den Opfern in anderen Kriegen wie in Afghanistan, Irak, Jemen, Gaza und Syrien, über die öffentlich kaum gesprochen wird.  Wir lehnen auch die provokative Ausweitung der Nato mit forcierter Stationierung von Truppen und Angriffswaffen an der Grenze Russlands ab.“

Es gab Gegenmeinungen.

„Das ist schwierig, und vermutlich auch nicht wirklich falsch oder richtig. Die USA haben unzweifelhaft ziemlich viel Schaden angerichtet – … aber mit dem neuen Satz (zur Nato) wird man sehr sicher die Zahl potentieller Unterstützer limitieren weil die wenigsten … da noch genau folgen können, wer wen im Laufe der Zeit provoziert hat“

Eine andere Zuschrift dazu:

„Das ist genau die russische Propaganda … Diese Aufrüstung der NATO (die auch ich nicht für richtig halte) ist eine Reaktion auf die Aufrüstung und die tatsächlich ausgeführten Aggressionen und Kriege Russlands. Mit dieser Formulierung wird Ursache und Reaktion vertauscht.“

Doch wer wann wie viel gedreht hat, wer nur reagiert hat, wer mehr Verbrechen begangen hat, darüber können wir nun ewig streiten. Insbesondere in einer Zeit, in der die Medien auf psychologische Kriegsführung setzen. Beide Seiten sind reaktionär. Der tatsächliche Kern ist:

Die eigentlichen Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen Oben und Unten

Diese Aussage geht auf Karl Liebknecht zurück, der sich zu Beginn des ersten Weltkriegs gegen die Kriegskredite wandte, und die seinerzeitige Lage hat manche Parallelen zur heutigen.

Das begreifen auch einige, die uns schrieben. So eine Zuschrift eines Professors, der zunächst eher für Verständnis für die russische Seite eintrat:

„Auch wenn ich Ihre Einschätzung des Ukraine-Konflikts bzgl. Russland nicht teile, möchte ich Sie bitten, meinen Namen unter die Erklärung „No to War“ zu setzen. Denn Ihre grundsätzlichen Anliegen kann ich nicht nur von den Forderungen her von ganzem Herzen unterstützen. Besonders wichtig finde ich darüber hinaus in der gegenwärtig so einseitigen medialen und politischen Meinungsbildung, inkl. Ausschluss Andersdenkender und … von Künstlern und Forschern qua (russ.) Nationalität, dass wir als Wissenschaftler uns öffentlich zu Wort melden…

Und eine andere recht typische Zuschrift ist

„Ich finde euer Schreiben „Nein zum Krieg“ sehr gut und es spricht mir aus der Seele.“

Diese Erklärung hat inzwischen etwa 80 Unterstützer aus 13 Ländern sowie drei Kontinenten gefunden. Aber nicht alle Befürworter können sie unterschreiben, da es ein zu großes Risiko für sie ist oder es ihnen ihr Arbeitsverhältnis untersagt. Das trifft nicht nur auf Russland zu, sondern auch auf zwei Unterstützer aus Deutschland und einen den USA. Von vielen, die nicht antworten, wissen wir es nicht.

Wir wenden uns gegen Chauvinismus und aggressiven Nationalismus.

Die Medien erwecken den Eindruck, dass es nur zwei Parteien gibt. Doch es gibt noch eine dritte Kraft. Das ist der Friedenswille der Masse der Menschen weltweit. Menschen aus allen Schichten, auch viele Jugendliche, gingen in den letzten Wochen gegen diesen Krieg auf die Straße.Ihre Sichtbarkeit ist in den Medien klein. Aber sie ist die Kraft zur Verhinderung eines atomaren Weltkriegs. Dabei sind die Arbeiter international die wichtigste Kraft. Arbeiter sind in international tätigen Konzernen beschäftigt und kennen die Arbeit ihrer Kollegen aus anderen Ländern. Welche Wirkung hätte es, wenn weltweit Generalstreiks zur Beendigung dieses Krieges stattfinden würden? Es gab auch schon die ersten Streiks. Weißrussische Arbeiter verweigerten die Arbeit an Bahnstrecken für Russlands Nachschub. Transportarbeiter in Italien verweigerten die Verladung von Waffen an die Ukraine, ebenso in Griechenland. Arbeiter, die sich beim internationalen Automobilarbeiterratschlag beteiligen, werden hier auf der Offenen Akademie sprechen.

Auch aus der weltweiten Frauenbewegung gibt es Initiativen der Vernetzung. Die Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz kommt auf unserer Wochentagung hier zur Sprache. Frauen sind ein sehr bedeutender Teil im Kampf gegen den Krieg. Eine weltweite neue Friedensbewegung ist im Entstehen.

Die Wissenschaftler können dem Kampf der Menschen dienen, gerade auch durch unsere internationale Vernetzung und durch ihr Ansehen in der Öffentlichkeit.

Hier gab es noch eine weitere Auseinandersetzung. Soll man das Wort „Imperialismus“ sagen? Wir haben diesen Begriff ganz bewusst verwendet.

Eine Zuschrift: „Nur zur Richtigstellung: Deutschland war unter Hitler imperialistisch … Seitdem Deutschland in der Nato ist, gibt es das nicht. Deutschland hat seit dem Krieg kein Land mehr imperialistisch überfallen. Russland sehr wohl mehrfach. Wie man da den Imperialismus des Nachkriegsdeutschland mit dem Kriegs-Imperialismus Russlands auf eine Stufe stellen kann, befremdet mich sehr.“

Was ist Imperialismus? Ist es nur zutreffend für die Länder, die einen Angriffskrieg führen?

Auf der Offenen Akademie 2018 hielt Stefan Engel hier an diesem Ort Stelle die Vorlesung „Die Herausbildung neuimperialistischer Länder und die Entwicklung der Kriegsgefahr“.

Er zitierte Lenin: „Der Imperialismus ist das monopolistische Stadium des Kapitalismus.“

Weiter: „Der Kapitalexport ist ein wesentliches Merkmal des modernen Imperialismus.

Die entscheidende Qualifikation des Imperialismus ist die Herrschaft des Finanzkapitals. Hier hat sich das imperialistische Industriekapital mit dem Banken- und Handelskapital verschmolzen und seine allseitige Herrschaft errichtet.

Damit veränderte sich erneut die Rolle des Staates, der zum Dienstleister der allein herrschenden internationalen Monopole degradiert wurde. Das sind weltweit etwa 500.

Dies sind vier Merkmale des Imperialismus bzw. der imperialistischen Länder. Die Verkürzung auf den, der gerade angreift, ist deshalb unzulässig und falsch. Imperialismus ist ein wissenschaftlicher Begriff. In dieser Veranstaltung warnte der Referent bereits:

„(Die) Herausbildung und Entwicklung einer Reihe neuer imperialistischer Länder bildet die Grundlage der allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung.“

Wenn man dieses klar hat, kann man die jetzige Entwicklung verstehen. Wer sie nicht klar hat oder gar auf Russland und China als „antiimperialistische“ Länder gesetzt hat, ist entsetzt und gelähmt.

Auch wer geglaubt hat, mit Diplomatie, mit „europäischer Friedensordnung“ und dergleichen, wo sich insbesondere Deutschland als großer Vermittler ausgibt, sei die Welt friedlicher geworden, der erlebt jetzt eine tiefe Enttäuschung. Oder er schlägt sich gar auf die Seite der Nato, weil Russland diese Illusion zerstört hat.

Natürlich geht es in den Beiträgen in unserer Wochentagung der Offenen Akademie nicht in erster Linie um diesen konkreten Krieg, obwohl viele Themen einen Bezug dazu haben. Wir haben insgesamt vielfältige Themen vom Weltbild der Naturwissenschaft, der Rolle der herrschenden Ideologie insbesondere des Antikommunismus, Umweltzerstörung, Digitalisierung, Gesundheit, Gefahr des Faschismus, Abbau demokratischer Rechte. Und diese Weltkrise wird jedem dieser Themen einen Stempel aufdrücken. Wir werden hier viel voneinander lernen. Es wird uns sicher auch beschäftigen, wo die Zusammenhänge all der Probleme die auftreten sind, aber auch wo der Fortschritt liegt, welche Lösungsmöglichkeiten existieren, zum Beispiel in der Technologie für eine saubere Energieversorgung oder der Entwicklung von wirksamen Impfstoffen.

Wir leben in einer Welt, in der die Mehrheit der Menschen heute unter unwürdigen Verhältnissen leben muss. 80 Millionen Menschen sind auf der Flucht. 800 Millionen Menschen leiden Hunger. Es sollen mehr werden. Die Zustände auf dieser Welt sind schreiend. Ich möchte auch die Frage aufwerfen, ob nicht der Imperialismus dafür verantwortlich ist, dass wir am Beginn einer Umwelt- und Klimakatastrophe stehen. Ist sein Fortbestehen mit der menschlichen Zivilisation überhaupt vereinbar? 

Daher möchte ich auf das Mitglied unseres Wissenschaftlichen Beirats, Prof. Jean Ziegler, lange Zeit tätig für die UNO im Bereich Welternährung und ein entschiedener Kämpfer gegen die ungerechte Weltordnung eingehen. Er sagt: Alle fünf Sekunden stirbt ein Kind – und das auf einem Planeten, auf dem zum ersten Mal in der Geschichte der objektive Mangel überwunden ist, unser Planet wird mit Nahrung überflutet. Das Problem ist aber der Zugang zu Nahrung. „Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet.“

Jean Ziegler wurde vor zwei Jahren in einem Spiegel-Interview provokativ gefragt: Sie wollten ja die Gesellschaft ändern, sie sprechen sich sogar für Revolution aus. Geht es denn nicht, seit Trump, rückwärts? Nein, hat Jean Ziegler gesagt. Die Masse der Menschen auf diesem Planeten ist positiv und voller Empathie. Aber es steht eine enorme Zuspitzung bevor, zwischen der Masse der Menschen der Welt und der ungerechten Weltordnung. „Der Aufstand des Gewissens wird kommen“, sagt er.

Lassen wir uns jetzt nicht beeindrucken! Es wird jetzt schneller gehen.

Es ist gerade in solchen Zeiten, wo die Wogen hoch hergehen, auch notwendig, nachzudenken. Wem nutzt das? Wer verdient daran? Was sind die Triebkräfte für die drohende Umweltkatastrophe, für die schreienden sozialen Gegensätze, für den Krieg? Ich möchte Sie alle bitten, diese Diskussion in aller Besonnenheit zu führen. Wir haben hier eine überparteiliche Veranstaltung. Unser Teilnehmer und Referenten kommen aus verschiedenen Sichtweisen, sind zum Teil auch aus verschiedenen Parteien. Gehen wir, wie es auf der offenen Akademie üblich ist, sachlich und solidarisch miteinander um. Entscheidend sind überzeugende Argumente.

Wir sind doch heute in einer Lage, wo wir international zusammenarbeiten und uns untereinander auch verständigen können. In Sekunden kann ich per Email Kollegen auf der ganzen Welt erreichen. Wir haben Vertrauen gewonnen. Wir haben viele Informationsquellen. Wir sind auch immer mehr in der Lage selbständig zu denken. Wir wollen eine Welt des Friedens und der Freundschaft zwischen den Völkern dieser Welt.

Ein III. Weltkrieg muss durch den Kampf der Völker, durch eine weltweite Friedensbewegung in enger Verbindung mit dem Kampf der Arbeiterklasse verhindert werden! Diese ist international verbunden und steht im Gegensatz zum Kapital, welches diesen Krieg für seine Interessen führt. Aktiver Widerstand gegen die akute Gefahr für den Weltfrieden!

Können wir es uns noch leisten, dass für den Profit von internationalen Konzernen, für den Profit von Rüstungskonzernen Städte ausradiert werden? Ja. Ich habe ein Feindbild.

Masters of War

PlatzNameLandUmsatz mit Waffen 2020 In Mrd. US-Dollar
1Lockheed Martin Corp.USA58,21
2Raytheon TechnologiesUSA36,78
3BoeingUSA32,13
4Northrop Grumman Corp.USA30,42
5General Dynamics Corp.USA25,84
6BAE SystemsGroßbritannien24,02
7NORINCO GroupChina17,93
8AVICChina16,98
9CETCChina14,61
10L3Harris TechnologiesUSA14,19
11AirbusEuropa11,99
12CASICChina11,87
13LeonardoItalien11,16
14ThalesFrankreich9,05
15Huntington Ingalls
Industries
USA8,25

Quelle Handelsblatt 6.4.22

Hier sind die Hauptprofiteure zu sehen. Als ich diese Tabelle das erste Mal anlässlich des Irak-Kriegs erstellte, war unter den ersten 10 noch kein chinesischer Rüstungskonzern. Auch 2012, bei der Aktualisierung, noch nicht.

Vor ich weiter auf die „Masters of War“ eingehe, möchte ich anmerken: Wir sind hier auch eine Einrichtung für fortschrittliche Kultur. Wir haben im Laufe der Woche auch ausgezeichnete Kulturbeiträge. Zwei davon werden im Kultursaal der Horster Mitte stattfinden.  

Als kulturellen Beitrag möchte ich zum Abschluss ein Lied von Bob Dylan zitieren, er schrieb es in einer Zeit, als junge Menschen im Vietnamkrieg verheizt wurden: Ihr da oben, ihr Herrn der Kriege, wie lange werdet ihr das noch mit der Menschheit machen können? Wie ich oben gesagt habe, es gibt eine dritte Kraft: Die Völker der Welt: Und ihr da, in Euren Hochhäusern, hinter Euren Schreibtischen, ihr Masters of War! Frei übersetzt heißt es am Schluss:

Die Völker der Welt,

„Und mit ihren Händen graben sie euer Grab

und bleiben dran stehn, bis der Teufel euch hat!“


Jetzt spenden

Helfen Sie mit, dass dieses einmalige Forum kritischer Wissenschaft und Kultur finanziell unabhängig, allein durch Spenden, Seminar-Beiträge und Literaturverkauf leben und sich fortentwickeln kann.