12. Offene Akademie Gelsenkirchen 2022
Die Offene Akademie Wochentagung 2022 vom 9.4.-15.4. hat eine ganz besondere Bedeutung!
Interview mit den Sprechern des Wissenschaftlichen Beirats der Offenen Akademie

In Kürze soll die nächste Wochentagung der Offenen Akademie stattfinden. Worin sehen Sie die besondere Bedeutung dieser Veranstaltung in diesem Jahr, insbesondere für die Jugend?

Christian Jooß: Die Welt ist scheinbar aus den Fugen geraten. Superreiche Milliardäre verdoppelten im vergangenen Jahr 2021 ihre Vermögen, während fast 200 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut abrutschten. Mit der Klimakrise, dem Ozonloch, dem Artensterben und der Vermüllung der Erde schreitet die Entwicklung zu einer Umweltkatastrophe voran. Großmächte rüsten gewaltig auf. Doch scheinbar wird alles beherrscht durch die Corona-Pandemie. Wo wird das alles hingehen, welche Lösungen gibt es und welche Perspektive hat die Jugend? Warum kommen die längst entwickelten technischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine bessere Welt nicht zum Durchbruch? Mit kritischer und fortschrittlicher Wissenschaft und Kultur steht die Offene Akademie nicht nur für wissenschaftliche Klarheit, sondern auch dafür, dass positive Lösungen im Interesse der Menschen und für deren Hoffnung auf Überwindung von Unterdrückung, Ausbeutung und Umweltzerstörung zum Tragen kommen. Die Ansichten über mögliche Lösungen gehen weit auseinander. Wir diskutieren solidarisch, sind überparteilich und weltanschaulich offen auf antifaschistischer Grundlage. Auf unserer Veranstaltung wird auch über die bestehende Gesellschaft hinausgedacht. Deshalb hat sich die Offene Akademie auch kritisch zum Antikommunismus positioniert „als die billige Ausrede, um jede Verbesserung der menschlichen Lage in Verruf zu bringen” (Heinrich Mann).

Wie aus dem Programm hervorgeht, ist ein erster Schwerpunkt die Physik. Es wird sich mit Lehrmeinungen und ihrem philosophischen Hintergrund auseinandergesetzt. Was ist das Besondere an den hier behandelten Themen?

Peter Kaiser: In der Physik gab es historisch immer wieder krisenhafte Entwicklungen, wo scheinbar vertraute Kategorien nicht mehr mit den neuesten Erkenntnissen in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Eine solche Krise folgt aus dem Lieblingsmodell der meisten Physiker: dem Urknall. Der Urknall als Weltbild des heutigen Kapitalismus, der sich sogar bestens mit der Religion verträgt, verdient nicht die Bezeichnung „Theorie“, er ist allenfalls eine Hypothese.

Eine andere Krise resultiert aus dem Problem, den Zufall in der Quantenwelt mit der Kategorie Kausalität in Einklang zu bringen. Schließlich hören wir auch etwas über die Phantastereien der Science Fiction-Kultur als immanenten Bestandteil des Weltbildes der theoretischen Physik. In diesem Zusammenhang wird auch die philosophische Konsequenz der Relativitätstheorie von Einstein kritisiert. Diese Widersprüche und Krisen sind nur durch dialektisches Denken aufzulösen.

Wie auf jeder Offenen Akademie werden die Umweltkrise und der Kampf um die Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen eine große Rolle spielen. Was sind die besonderen Themen in diesem Jahr?

Josef Lutz: Wir beginnen mit einem Beitrag einer jungen Umweltwissenschaftlerin, Anne Vescovi, zur Problematik des Trinkwassers, dessen Verfügbarkeit für die Menschen durch Überausbeutung dramatisch abnimmt. Führende Wissenschaftler im Bereich Erneuerbare Energien wie Bruno Burger oder Hans Josef Fell – einer der „Väter“ des EEG – haben bewiesen, dass es höchste Zeit für Änderungen ist und Lösungen möglich sind.

Die Offene Akademie hat mit ihrer Stellungnahme zum angeblichen CO2-Restbudget die verharmlosenden Prognosen des internationalen Klimarats entlarvt, wir konnten eine Auseinandersetzung auch unter Einbeziehung renommierter Wissenschaftler entfachen. Doch wie werden die notwendigen gesellschaftlichen Änderungen zur Rettung der Umwelt Realität? Auch dieses Thema wird während der Tagung diskutiert.

Welche Rolle kann denn überhaupt eine kritische und fortschrittliche Wissenschaft für Veränderungen spielen? Wie zeigt sich das auf der Offenen Akademie?

Christoph Klug: Obwohl sich viele Menschen eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse wünschen, ist es alles andere als klar, auf welche Weise und mit wem diese zustande kommen kann. Der Beitrag „Bergarbeiter und Familien gegen PCB-Vergiftung“ von Prof. Dr. Rainer Frentzel-Beyme, Christoph Klug, Kumpel für AUF sowie einer Gruppe von Studierenden macht deutlich, dass die Ruhrkohle AG aus reiner Profitgier kaltschnäuzig die Gesundheit vieler Bergarbeiter zerstörte. Die Bergarbeiter und zuletzt der Streik der Lokomotivführer zeigen das große Potenzial der Arbeiterbewegung für Veränderungen. Und das ist ein Alleinstellungsmerkmal der fortschrittlichen und kritischen Wissenschaft, für die die Offene Akademie steht, nämlich die Verbindung von Natur- und Gesellschaftswissenschaft, getragen von der arbeitenden Bevölkerung mit Unterstützung des Knowhows von Wissenschaftlern und Studierenden. Diese Art von Wissenschaft birgt ein großes Zukunftspotenzial.

Die Digitalisierung ist ein heißes Thema, es wird vielfach von „Transformation“ gesprochen. Welche besonderen Themen gibt es dieses Jahr auf der Offenen Akademie, insbesondere in Bezug auf die Arbeiterbewegung und die Gewerkschaften?

Peter Hensinger: Einen ganzen Tag widmet sich die Offene Akademie der Digitalisierung der Gesellschaft, einem Hauptprojekt der Bundesregierung. Der Digitalisierungshype wird in der Öffentlichkeit zu wenig kritisch hinterfragt. Vier Vorträge zu Auswirkungen der Digitalisierung in der Industrieproduktion, im Bildungswesen, auf den Klimawandel, in der Medizin, sowie ihr Überwachungspotential versprechen einen spannenden Tag. Unter kapitalistischen Bedingungen scheint mir das zerstörerische Potential der Digitalisierung dominant zu sein. Aber: Welches fortschrittliche Potential hat sie, und wie könnte das zur Entfaltung kommen? Auf die Debatte darüber freue ich mich. In diesem Zusammenhang bin ich auch gespannt auf den Vortrag des Vorsitzenden der GDL, Claus Weselsky, über die erfolgreichen Streiks, aber auch darüber, wie in der GDL die Pläne und bereits stattfindenden Versuche zu autonomen Zügen ohne Lokführer diskutiert werden.

Wie laufen die Veranstaltungen der Offenen Akademie ab? Sie heben in der Ankündigung die besondere Streitkultur hervor, was soll man sich darunter vorstellen?

Christoph Klug: Vorträge und Abendveranstaltungen behandeln bedeutende Themen im Leben der Menschen, in denen die Beiträge der hochkarätigen Dozentinnen, Dozenten und Kulturschaffenden genauso wichtig sind wie die sich daran anschließende Diskussion auf Augenhöhe. Weil niemand allein alles wissen kann, wollen wir voneinander lernen, vorankommen. Wir wollen einen Beitrag dafür leisten, dass die Arbeiter- und Volksbewegung, Wissenschaftler und Künstler der Menschheit zu einer lebenswerten Zukunft verhelfen können. Dazu kehren wir Meinungsverschiedenheiten nicht unter den Teppich, sondern wir lernen voneinander und streiten solidarisch miteinander. Und wir können versichern: Jedem, der diese Tage miterlebt hat, werden sie in bester Erinnerung bleiben. Jeder wird am Ende etwas gelernt haben und sich verändern. Das haben wir immer wieder so erlebt.

Wir sind jetzt noch tief in der Corona-Krise. Was wird das für die Durchführung Ihrer Veranstaltung, die ja von Diskussion und Auseinandersetzung lebt, bedeuten?

Josef Lutz: Aus diesem Grund streben wir die Durchführung als Präsenzveranstaltung an. In jedem Fall werden wir die gültigen Corona-Schutzbestimmungen einhalten und sie noch selbstständig erweitern, denn die Auswirkungen von Corona und der Gesundheitsschutz sind auch Themen auf unserer Veranstaltung. Sollte sich bis dahin die Infektionslage nicht entspannt haben, haben wir als Notkonzept geplant, die Vorträge digital in weitere Räume zu übertragen, damit die Sicherheitsabstände eingehalten werden können. Dabei werden wir auch die Möglichkeit für eine zeitgleiche simultane Teilnahme an der Diskussion organisieren.


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