2024 Allgemein Artikel
Die Antisemitismus-Resolution des deutschen Bundestags: Manipulativ, rassistisch, repressiv – ein Schaden für den notwendigen Kampf gegen Antisemitismus.

Am 6. November 2024 verabschiedete der Deutsche Bundestag die Resolution „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“. Sie fand ihre Mehrheiten in der zerbrochenen Ampelkoalition, unterstützt von CDU/CSU und AfD, und markiert einen weiteren Schritt der Rechtsentwicklung in Deutschland. Unter dem Deckmantel des „Kampfs gegen Antisemitismus“, der sich vor allem durch die Rechtsentwicklung ausbreitet, fordert die Resolution die verpflichtende Anwendung der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Statt Antisemitismus als Bestandteil von Rassismus und faschistischer Ideologie konsequent zu bekämpfen, verfolgt die Bundestagsresolution ein anderes Ziel. Sie diffamiert und kriminalisiert all jene, die den Völkermord in Gaza, die Angriffskriege auf den Libanon oder die Besatzungs- und Apartheidpolitik Israels kritisieren oder Solidarität mit dem palästinensischen Volk zeigen.

Die IHRA-Antisemitismusdefinition besagt: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“[1] Nach dieser Definition kann nun „jedes Wort und jede Tat gegen Juden und Nichtjuden und ihr Eigentum“ als Antisemitismus diffamiert werden – und damit auch jede berechtigte Kritik an der völkerrechtswidrigen Besatzungs- und Annexionspolitik des Staates Israel[2]. Die IHRA selbst liefert elf konkrete Beispiele zur „Veranschaulichung“ der Definition, die jedoch oft wie verbindliche Bestandteile behandelt werden. Die problematischsten Beispiele vermischen Kritik an Israel mit Antisemitismus.

Internationale Kritik an der IHRA-Antisemitismusdefinition

Diese für den Kampf gegen Antisemitismus ungeeignete IHRA-Antisemitismusdefinition stößt weltweit auf Kritik[3] von 100erten von Wissenschaftlern und akademischen Einrichtungen[4]. Sie wird als untaugliche Grundlage für rechtliche Beurteilungen abgelehnt[5]. Als fortschrittliche Reaktion auf diese Kritik entstand die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“[6], die Antisemitismus definiert als spezielle Form des Rassismus. Sie schützt ausdrücklich legitime Kritik am Zionismus sowie an dem israelischen Staat und der Regierung. Die IHRA-Antisemitismusdefinition ist ein pseudowissenschaftliches Feigenblatt, das gezielt politische Repressionen gegen fortschrittliche und antiimperialistische Bewegungen rechtfertigen soll. Die Entwicklung dieser Definition und ihrer Durchsetzung bei der IHRA am 26. Mai 2016 wurde von der israelischen Regierung aktiv gefördert.[7]

Manipulativer Antisemitismus-Begriff durch die deutsche Bundesregierung seit 2017

Die damalige Bundesregierung ergänzte selbst die Definition im Jahr 2017, um den Zusatz: „Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“[8]Damit wird die gesamte Definition hauptsächlich auf „israelbezogenen Antisemitismus“ ausgerichtet, Kritik an der israelischen Regierung pauschal als „Antisemitismus“ diffamiert, und Antizionismus mit Antisemitismus gleichgesetzt. Die Resolution des Deutschen Bundestages vom 5. Mai 2019 gegen die „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (BDS) führte zu Verboten öffentlicher Veranstaltungen, etwa in München. Dies mündete schließlich in Urteile wie jenes des Bundesverwaltungsgerichts von 2022, das das Münchner BDS-Verbot als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit einstufte.[9] Um künftig derartige Urteile zu umgehen, wird bereits eine Aufnahme der Antisemitismusdefinition in das Grundgesetz erörtert, wodurch dieser Begriff Verfassungsrang erhalten würde.[10] In der Tendenz soll durch diesen Schritt die außenpolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem imperialistischen Partner Israel systematisch über die demokratischen Grundrechte der Bevölkerung gestellt werden.

Bundestagsresolution vom November 2024 fordert repressiven Kurs gegen Kritik am Imperialismus

Die neue Resolution soll diesen antidemokratischen Kurs noch weiter verschärfen und ignoriert bewusst geltenden Urteile. Die Bundestagsresolution stellt einen massiven Angriff auf demokratische Rechte und Freiheiten dar. Indem sie Kritik an einer Regierung und an einem Staat mit „Antisemitismus“ gleichsetzt, wird der Begriff zynisch verdreht und dem Kampf gegen den tatsächlich zunehmenden Antisemitismus, der auch durch die rassistische Hetze der AfD befeuert wird, ein Bärendienst erwiesen. Zudem konstruiert sie einen „links-antiimperialistischer Antisemitismus[11], um fortschrittliche Kräfte zu verleumden. Offenkundig wird ignoriert, dass Israel von einer Führung regiert wird, die faschistische Minister in ihren Reihen hat und einen Völkermord und Vertreibung in Gaza organisiert. Diese Haltung untergräbt die Solidarität mit israelischen Kriegsgegnern und Antifaschisten, die gegen den Krieg und die zunehmende Faschisierung durch die Netanjahu-Regierung kämpfen[12].

Pauschale Unterstellung von Antisemitismus von Bevölkerungsteilen mit Migrationshintergrund

Mit der Formulierung in der Resolution eines angeblich „importierten Antisemitismus“ aus dem Nahen Osten werden Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund in Deutschland pauschal diffamiert und Rassismus geschürt. Menschen werden aufgrund ihrer Herkunft oder Religion kollektiv verdächtigt, statt den Antisemitismus reaktionärer und faschistischer Kräfte, der historisch zur Shoah geführt hat und heute wiedererstarkt, gezielt zu bekämpfen. Stattdessen fordert die Resolution m mehr Vereins- und Betätigungsverbote, Verschärfungen im Straf-, Asyl-, Aufenthalts- und Staatsangehörigkeitsrecht sowie repressive Maßnahmen an Schulen und Hochschulen bis hin zur Exmatrikulation. Zusätzlich sollen alle öffentlichen Mittel für Projekte gestrichen werden, die nach der IHRA-Definition als „antisemitisch“ gelten oder sich nicht ausdrücklich zum „Existenzrecht“ Israels bekennen. Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Antifaschisten werden dabei pauschal unter Generalverdacht gestellt. Die Länder und Gemeinden werden aufgefordert, dafür eigene „rechtssichere Regelungen“ zu schaffen, um diesen Kurs flächendeckend zu verankern.

Gefährliches politisches Zugeständnis an die AfD

Die Resolution ist ein Geschenk an die AfD, sie lenkt gezielt von der zunehmenden Bedrohung durch den Faschismus in Deutschland ab. Stattdessen wird ein explizites Verbot der BDS-Kampagne sowie der Kräfte innerhalb der Friedensbewegung gefordert, insbesondere jener linken, antiimperialistischen Bewegungen, die sich für eine gerechte Lösung im Nahostkonflikt und für das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes einsetzen. Die AfD reklamiert diese Resolution begeistert für sich. Beatrix von Storch (AfD) beanspruchte, die Resolution im Kampf gegen Migranten und linke Kräfte zu nutzen und unterstützt die Forderung der Resolution, „repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen[13]. Sie prahlte: „Das nennen wir eine Zeitenwende. Nur die AfD will umsetzen, was Sie nur fordern![14] Bezeichnend ist, dass die Resolution den faschistischen Terroranschlag 2019 auf die Synagoge in Halle verschweigt, während sie auf Kulturveranstaltungen wie der „Berlinale“ Antiimperialisten diffamiert. Dort sprach der israelische Regisseur Yuval Abraham in seiner Dankesrede von der „Apartheid“[15] in Israel, und US-Regisseur Ben Russell prangerte einen „Völkermord im Gazastreifen“[16] an.

Angriff auf fortschrittliche Wissenschaft und Kultur

Aktuelle Beispiele aus Schleswig-Holstein und Berlin zeigen die undemokratische Praxis dieser Resolution: In Schleswig-Holstein soll künftig die Vergabe von Fördermitteln an die Bedingung geknüpft werden, „dass die zuständige Stelle nur Zuwendungsempfängerinnen oder Zuwendungsempfänger fördert, von denen bekannt ist oder bei denen offensichtlich ist, dass sie sich zu einer vielfältigen Gesellschaft bekennen.“[17] Das ist eine Vorlage für willkürliche Ausschlüsse fortschrittlicher Kräfte. Die Berliner Justizsenatorin und ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiterin Felor Badenberg (CDU) plant, staatliche Fördermittel gezielt zu verweigern, wenn Akteure durch „verfassungsfeindliche Aktivitäten“ auffallen, womit Verfassungsschutzberichte Kriterium der Beurteilung von Bildung und Kultur werden.[18] Diese Aktivitäten zielen darauf ab, fortschrittliche Kräfte zu überwachen und jede kritische Stimme, die sich der imperialistischen Kriegsagenda entgegenstellt, aus Wissenschaft und Kultur zu entfernen.

Einschüchterung von Anti-Kriegsprotesten und der Solidarität mit dem palästinensischen Volk wie auch Opposition in Israel.

Schon jetzt fühlen sich zum Beispiel Studierende in ihrem Eintreten gegen Kriegsverbrechen in Gaza bedroht durch die Drohung mit Exmatrikulation. Diese Resolution muss entschieden abgelehnt werden zur Verteidigung der Freiheit der Rede, der politischen Betätigung auf antifaschistischer Grundlage, dem Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus, sowie Namen der Solidarität und des demokratischen Widerstands gegen Militarisierung und staatliche Repression. Daher jetzt erst recht: Unterstützt unsere Petition: Nein zur Rechtsentwicklung und Militarisierung in Schulen, Hochschulen und Kultureinrichtungen im Namen der „Kriegstüchtigkeit“! (Link).


[1] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus

[2] In der englischen bzw. französischen Fassung wird von „community institutions“ bzw.  „institutions communautaires“ gesprochen, also unter Antisemitismus auch „Wort und Tat gegen Gemeinschaftseinrichtungen“ definiert.

[3]https://www.theguardian.com/news/2023/apr/24/un-ihra-antisemitism-definition-israel-criticism

[4] Eine Dokumentation findet sich in: https://docs.google.com/spreadsheets/d/19zAdT920Sd-KHnvdP6BhXlBGwofGbzgWbGF65f_V7ZI/edit?gid=1497272138#gid=1497272138

[5] https://verfassungsblog.de/die-implementation-der-ihra-arbeitsdefinition-antisemitismus-ins-deutsche-recht-eine-rechtliche-beurteilung/

[6] https://jerusalemdeclaration.org/

[7] https://res.cloudinary.com/elsc/images/v1685978238/The-Practice-of-Suppressing-Palestinian-Rights-Advocacy-FINAL-PP/The-Practice-of-Suppressing-Palestinian-Rights-Advocacy-FINAL-PP.pdf?_i=AA

[8] https://www.antisemitismusbeauftragter.de/Webs/BAS/DE/bekaempfung-antisemitismus/ihra-definition/ihra-definition-node.html

[9] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bundestag-resolution-das-steht-drin-antisemitismus-definition

[10] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/antisemitismus-resolution-bundestag-tagung-berlin-grundgesetz-aenderung

[11] https://dserver.bundestag.de/btd/20/136/2013627.pdf

[12] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/antisemitismus-resolution-kritik-israel-100.html

[13] ebenda

[14] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/warum-die-antisemitismus-resolution-des-bundestags-zu-vage-ist-110098492.html

[15] https://www.deutschlandfunkkultur.de/nahostkonflikt-kulturwelt-antisemitismus-berlinale-100.html

[16] ebenda

[17] https://www.abendblatt.de/schleswig-holstein/article406820370/ringen-um-antisemitismus-klausel-bei-foerderungen.html

[18] https://www.faz.net/einspruch/wie-der-verfassungsschutz-bei-der-kulturfoerderung-helfen-kann-110089879.html


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